Wieder in Mexiko. Diesmal zum Urlaub. Erstmals hatte mich Alfons Vietmeier in meiner Sabbatzeit nach Mexico-City gelockt. Weihnachten 2014 wird mir immer in Erinnerung bleiben, zumal ich neue Freunde kennenlernen durfte: Benjamin Martinez, Raul Arreortua und Pepe Sanchez eröffneten mit mit ihrer herzlichen Gastfreundschaft den Zugang zur mexikanischen Seele und zu der notwendigen kirchlichen Entwicklung in Mexiko – der „pastoral urbana“ und den Basisgmeindlichen Formen in Land und Stadt (siehe meine Überlegungen in „Kirche steht Kopf).

Was liegt näher, als meine Freunde in den Ferien zu besuchen. Und so bin ich jetzt wieder dort, und erfahre noch tiefer, und mit neuem Blick, was sich hier vor Ort ereignet. Und es setzt sich fort, was ich schon bei der Reise nach Bolivien angedeutet hat. Die Fragen und die Herausforderungen, die uns in Deutschland im Kontext einer lokalen Kirchenentwicklung begegnen, die Ahnung, dass es um viel mehr geht als um eine neue Welle pastoraler Aktivität, sondern um einen Kulturwandel – die verschärfen sich im Kontext der Megalopolis MexicoCity mit ihren 30 Millionen Menschen noch weiter. Und diese Herausforderungen sind uns allen gemeinsam geschenkt – und vielleicht ist es kein Wunder, dass Papst Franziskus sie so unglaublich scharf sichtet und in Evangelii Gaudium und allen seinen Äußerungen ins Wort bringt.

Es läßt sich ganz einfach erzählen, worum es geht, wenn ich von meinen Reiseerfahrungen berichte.

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Am Freitag fahre ich mit P. Benjamin zum Tagungszentrum der mexikanischen Bischofskonferenz. Dort findet ein Treffen der CELAM statt. Die lateinamerikanische Bischofskonferenz veranstaltet ein Treffen der Rektoren lateinamerikanischer Priesterseminare, und bei diesem Treffen wird die „pastoral urbana“ vorgestellt. Worum es genau geht? Angesichts der Veränderungen und der gesellschaftlichen Verflüssigung jeder Tradition wird die Kirche in Zukunft und schon in der Gegenwart nicht als klassische Pfarrgemeinde zeigen, sondern verlangt einen neuen Blick auf die vielfältigen Kulturen der Stadt, versucht Gott in ihr zu entdecken und gemeinsam Wege der Verkündigung des Evangeliums zu gehen, auf dass das Reich Gottes wachsen kann. Subjekt ist das Volk Gottes, das heilige gläubige Volk Gottes – und nicht eine Institution, und nicht nur die Priester, die ja die Aufgabe haben, das Volk Gottes mit allem auszustatten, was es für diese neue Perspektive braucht.

Und die Rektoren hören aufmerksam zu – und fragen viel: denn eines ist auch klar. Eine klassische Priesterausbildung, die auf dem Horizont einer stabilen und priesterzentrierten Versorgungspastoral aufruht, ist keine Antwort auf die sich verflüssigenden Kontexte der Großstädte, wenn man eine Stadt mit 20-30 Millionen Einwohnern überhaupt noch so nennen kann. Viele spüren die Spannung: seit Aparecida (2007) und Evangelii Gaudium wird eine sendungsorientierte Pastoral des Hinausgehens und des „mittendrinseins“ vorgestellt – aber Fakt ist: oft ist Pastoral die Kirche mit ihren Gottesdiensten und ihre kleinen Gruppen. Ähnlichkeiten zu Europa nicht ausgeschlossen.

Man braucht nur durch die Stadt fahren, und trifft schon bald auf eine spannende Herausforderung: den Tempel des Heiligen Todes International. Was ist das? Viele junge Menschen sind hier zu finden, die den Tod verehren, mit Opfern, mit Liturgien. Was beeindruckt: ganz deutlich werden christliche Elemente übernommen, und verknüpft mit religiösen Riten einheimischer Prägung. Und worum gehts? Um Relevanz. Der Tod ist hier allgegenwärtig, die vielen Drogentoten und die heftige Gewalt. Das führt zu Gebeten an den Heiligen Tod: verwandle Dunkelheit in Licht…

Je mehr man sich das anschaut…IMG_0357.jpg

desto deutlicher wird sichtbar, worin genau das Problem für uns Christen besteht: wir haben doch im Zentrum unseres Glaubens und unserer Spiritualität das Geheimnis von Tod und Leben, den Übergang des Pascha – und offensichtlich ist Liturgie und Botschaft dieses Geheimnisses nicht angekommen, obwohl hier sichtbar wird, wie relevant unser Geheimnis ist.

So bedeutet „pastoral urbana“ eben viel mehr als eine neue pastorale Strategie, um Leute wieder zu gewinnen. Es geht um eine Umkehr unsererseits, es geht darum, mit Klaus Hemmerle die Botschaft so neu vom Anderen her zu sagen, dass sie wieder die „Frohe Botschaft“ sein kann: Kirche, die hinausgeht, wird eben verbeult und dreckig sein, und nur so relevant. So schön das klingt, so umstürzend ist es. Denn wie sich dann Gottes Volk sammelt, das wird ganz anders sein, als bisher.

Pater Raul erzählt den Studenten aus dem Seminar Ekatepec im Seminar über „Pastoral urbana“ eine Geschichte. In den vielen Gesprächen mit den Menschen auf der Strasse, die die Studenten durchführen, um wirklich „hinauszugehen“, treffen sie auf eine Frau, die ihnen erzählt, dass sie am Sonntag aus Arbeitsgründen nie zur Kirche kann. Aber sie liest das Tagesevangelium, meditiert es und isst dann eine gekaufte Hostie zum Zeichen der Verbundenheit mit der Kirche…. „Was denkt ihr dazu?“, fragt Raul. Ein interessantes Gespräch beginnt. Vor allem wird deutlich, wie ambivalent und eindrücklich die Spiritualität dieser Frau ist: die tiefe Verbundenheit mit der Schrift und die Übernahme eine Kommunionvorstellung, die nochmal deutlich macht, wie sehr individualistisch wir Messe feiern. Und trotzdem: ein intensives Zeichen der Sehnsucht nach Gemeinschaft.

Fragen über Fragen – vor allem an die Art und Weise, wie wir kontextlos und gültig zwar Messe feiern, aber… das, was Eucharistie ist, durchaus verfehlen. Das Buch von Michael Theobald über die Eucharistie als Quelle sozialen Handelns wäre zu ergänzen: sie will auch Höhepunkt des sozialen Handelns sein. Dass sie es häufig nicht ist, ist ihr Relevanzproblem nicht nur in der Stadt.

Das wird mir in Acapulco deutlich. Einen Tag dort verbringen, das ist die lange Reise wert. Ein wunderbarer Ort. Ich lande mit einem Freund meiner Gastgeberpfarrer in Mexico City an dem Strandlokal „Anita“, wo wir den ganzen Tag verbringen. Sehr nette Menschen, gutes Essen, herrliches Meer… und viel Begegnung. Mir wird hier ganz plastisch deutlich, was Papst Franziskus mit der „Mystik des Zusammenseins“ (EG) gemeint hat. Ja, hier ist wirklich Gottes Gegenwart in vielen Momenten erfahrbar, die ganz einfach ein menschliches Miteinander bezeugen.

Und danach: Messe in der Kathedrale. Oder was? Denn diese Messe ist tatsächlich völlig losgelöst von einer Communio der Menschen. Sie wird einfach „gehalten“. Ich finde, genau hier liegen tiefe Herausforderungen für eine Erneueurung. Sie liegen zuerst und vor allem in der Frage, wie Gemeinschaft, Community in den flüssigen und provisorisch fragilen Erfahrungen der (hier turistischen) Postmoderne erfahrbar werden kann – und wie sich dies dann auf die Feiern auswirkt, die doch den Höhepunkt dieser Wirklichkeit verdichten wollen – und es ja auch tun könnten. Mit einem unpastoralen Restverständnis zwischen kurzer Zeit, Gültigkeit und wenig participatio actuosa ist das nicht zu hinzubekommen.

Diese drei kleinen Mosaiksteine machen deutlich, vor welchem Umbruch, vor welcher Reformation wir stehen. Problematisch sind dabei nicht zuerst die Menschen, das heilige, gläubige Volk Gottes – sondern die Frage, ob Pastoral Verantwortliche sich auf die neue fragile Welt einlassen wollen….