In einem bemerkenswerten Vortrag zur Erneuerung der Priesterausbildung in Eichstätt hat Bischof Felix Genn aus Münster die 400 jährige Geschichte des Priesterseminars dort reflektiert. Angesichts der langen, oft jahrhundertelangen Reformverzögerungen in der Priesterausbildung nach dem Trienter Konzil, gibt er zu Bedenken, dass das kirchliche Leben im Lauf der Jahrhunderte ja auch dann nicht untergegangen sei, als die Ausbildungsreform ihrer Verwirklichung harrte. Was bedeutet es dann, so fragt er weiter, wenn das Konzil deutlich formuliert – im ersten Satz des Dekretes über die Priesterausbildung: Die erstrebte Erneuerung der gesamten Kirche hängt zum großen Teil vom priesterlichen Dienst ab, der vom Geist Christi belebt ist.
Ein deutlicher Satz. Aber stimmt er? Und was bedeutet er? Zu diesem Satz gibt es im Konzilstext eine Fußnote. Die Väter des Konzils mit Belegen, die hier nicht zu nennen sind, notieren: Wie sehr die Entfaltung des ganzen Gottesvolkes nach dem Willen Christi selbst vom Dienst der Priester abhängt, geht aus den Worten hervor, mit denen der Herr die Apostel, ihre Nachfolger und Mitarbeiter zu Verkündern des Evangeliums, zu Vorstehern des auserwählten neuen Volkes und zu Verwaltern der Geheimnisse Gottes eingesetzt hat
Damit wird auf den sakramentalen Dienst angespielt, den das Konzil in diesen drei Vollzügen erkennt: in der Verkündigung des Evangeliums, im Dienst des Hirten – und in der Feier der Sakramente, besonders der Eucharistie. Das sind gute Anhaltspunkte, an denen man sich entlangdenken kann, um deutlicher die Frage nach der Bedeutung des Dienstes der Priester für die Erneuerung der Kirche – das Konzil sagt: die gewünschte Erneuerung und fällt damit eine deutliche Option für die Erneuerung – zu fokussieren.
Franziskanische Homiletik
Es hat sicher erstaunt, dass ein sehr großer Abschnitt des apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium der Homilie und also der Predigt während der Eucharistiefeier gewidmet ist. Warum? Der Papst begründet das: Ich werde besonders bei der Homilie und ihrer Vorbereitung verweilen, denn in Bezug auf diesen wichtigen Dienst gibt es viele Beschwerden, und wir dürfen unsere Ohren nicht verschließen. Die Homilie ist der Prüfstein, um die Nähe und die Kontaktfähigkeit eines Hirten zu seinem Volk zu beurteilen. In der Tat wissen wir, dass die Gläubigen ihr große Bedeutung beimessen; und sie, wie die geweihten Amtsträger selbst, leiden oft, die einen beim Zuhören, die anderen beim Predigen. Es ist traurig, dass das so ist
So ähnlich hatte es auch Dietrich Bonhoeffer schon 1937 gesagt. Im Vorwort seines Buches zur Nachfolge macht er darauf aufmerksam, dass den Menschen das Wort Gottes deswegen gleichgültig zu werden droht, weil die Ausleger des Wortes Gottes eben eher sich selbst als das Wort zugänglich machen, und damit den Durst des Volkes Gottes nicht ernst nehmen.
Denn es gilt heute mehr denn je, was Papst Franziskus notiert: Dabei kann die Homilie wirklich eine intensive und glückliche Erfahrung des Heiligen Geistes sein, eine stärkende Begegnung mit dem Wort Gottes, eine ständige Quelle der Erneuerung und des Wachstums.
Dass der Dienst am Wort in die tiefe Begegnung mit Christus führt – danach sehnen sich viele Menschen. Oft auch vergeblich. Und es gehört also zu den außergewöhnlichen Merkwürdigkeiten, wenn einerseits eine schwache Predigtkultur häufig hingenommen wird, im gleichen Atemzug aber das vielen Christen vorgeworfen wird, sie seien im Glauben nicht hinreichend geformt und würden die tiefe Wahrheit des katholischen Glaubens nicht kennen. Dieser Vorwurf fällt auf all jene Hirten zurück, die weder durch die Predigt, noch durch eine klare Option für Glaubensentwicklung ihrer Mitchristen dieses Wachstum ermöglichen. In der Tat, hier liegt genau der Knotenpunkt: eine angemessene Verkündigung des Wortes geht einher mit einer Begleitung, die jedem Christen ermöglicht, das Wort Gottes als Wort Gottes kennenzulernen und zu leben. Und genau das verändert die Christen, macht sie mündig und reif – und erfordert eine neue Predigtkultur, die in den Getauften das Leben des Wortes voraussetzt, damit es weiter befruchtet werden kann.
Wo dies geschieht, verwandelt die Kirche ihr Gesicht und wird das vom Konzil gewünschte Volk Gottes, in dem immer mehr Christen selbst Verkündiger sind, verändert sich die Kirche zu einer selbstbewußten Gemeinschaft der Sendung – wo dies nicht geschieht, bleibt es bei einer häufig billigen Absperrung der Christen: Resultat ist dann eine weithin klerikalisierte Kirche ohne den Elan und eben ohne jene Freude des Evangeliums, die Papst Franziskus in den Mittelpunkt rückt.
Natürlich geht auch mit schwachen Predigten die Kirche nicht unter – aber der Dienst der Verkündigung bringt Kirche hervor, führt zu einer Erneuerung, zu neuen Formen, zu Energie für den Aufbruch. Sonst bleibt es bei einem management of decline, bei einer Verwaltung des Abbruchs – und so lauten ja auch die Vorwürfe an die Kirchen.
Schwache Hirten?
Wie kommt es eigentlich, dass es häufig keine langfristige Perspektive der Pastoral gibt? Das ist deutlich eine Führungsschwäche, die der sakramentalen Hirtenaufgabe in keiner Weise entspricht. Es geht doch nicht darum, dass man mit einer Gemeinde (und seinen Gemeinden) ein weiteres Jahr administrative Pastoral durchführt, und so den Pflichtteil von September bis Juni – the same procedure as every year – abwickelt, mit den vielen engagierten Ehrenamtlichen. Kirche ist nicht zuerst zu administrieren, zu managen – auch wenn das wichtig wäre – sondern es geht um eine Hirtenaufgabe, die dazu noch sakramental eingebunden ist: Dass Christus sein Volk führt, dass er es durch diese Zeit führt, dass Er es zum Reich Gottes führt, darum muss es gehen im Hirtendienst des Priesters. Damit ist auch klar, dass es keinen Hirtendienst ohne visionäre Perspektive geben darf – denn ohne Vision verkommt das Volk. Oder knapp und klarer mit Papst Franziskus: Seelsorgliche Präsenz heißt: Mit dem Volk Gottes gehen: vor ihm, um den Weg zu zeigen, mitten unter ihm, um seine Einheit zu stärken und hinter ihm, um sicher zu stellen, dass keiner auf der Strecke bleibt, aber vor allem, um seinem Gespür für neue Wege zu folgen.
Den Weg zu zeigen – genau daran krankt es häufig. Denn viele Priester kennen gar keinen Weg, den sie zeigen könnten: wohin entwickelt sich die Kirche der Zukunft? Welche Perspektiven hat eine Gemeinde in den nächsten zehn Jahren? Welches sind die langfristigen Optionen und Zielsetzungen? Geht es tatsächlich nur darum, den Niedergang aufzuhalten, dann verkümmert in der Tat das Volk Gottes – man hat es schon unter der Hand aufgegeben. Oder es dient dazu, dass die eigenen Vorstellungen umgesetzt werden: dann ist es Objekt der Pastoral. Aber gemeinsam mit dem Volk Gottes einen Weg der Entwicklung zu gehen, das ist Hirtendienst. Und damit wird sehr deutlich: Verwaltung ist nicht gemeint, sondern neue Wege. Diese sind gar nicht so schwierig zu finden, wie immer behauptet wird. Die Weltkirche ist in Bewegung – und Ortskirchen Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Europas bezeugen eine deutliche Richtung, die den prophetischen Inspirationen des II. Vatikanischen Konzils entspricht – und übrigens auch vielen pastoralen Überlegungen deutscher Diözesen. Und dennoch fehlt die perspektivenreiche Führung und Begleitung des Volkes Gottes in Einheit und Vielfalt.
Auch hier gilt natürlich: das Volk Gottes überlebt schwache Hirten in der Regel. Und es gilt: gerade die Volksfrömmigkeit und charismatische Aufbrüche haben immer wieder die Kirche innerlich erneuert – und eben gerade nicht die Hirten. Und dennoch ist es eben ihre sakramentale Aufgabe, das Volk Gottes in Einheit mit ihrem Bischof in die Zukunft zu führen. Denn genau so lautet die erste (!) Frage an den Kandidaten bei der Priesterweihe: Bist du bereit, das Priesteramt als zuverlässiger Mitarbeiter des Bischofs auszuüben und so unter der Führung des Heiligen Geistes die Gemeinde des Herrn umsichtig zu leiten
Diese umsichtige Leitung verlangt ein Hören auf den Geist Gottes in jener umfassenden Weite, die sich einbindet in die Ortskirche, der sich im Sensus fidelium des Gottesvolkes wie in der Einheit mit dem Bischof entfaltet.
Und dort, wo Hirten mit Vision gemeinsam mit dem Volk Gottes auf dem Weg sind, dort wird auch erkennbar und erlebbar, wie Kirche morgen geht.
Die Geheimnisse feiern?
Lex orandi – lex credendi: die Weise, wie die Geheimnisse, und besonders die Eucharistie, gefeiert werden, gibt Aufschluss über den Weg des Gottesvolkes – so oder so. Und vor allem wächst in der angemessenen Feier gerade der sonntäglichen Eucharistie das Gottesvolk, wird es allererst das, was es ist: eucharistisch Kirche.
Aber die gerade die lex orandi besteht ja nicht vor allem in der Rubrikentreue, sondern in der Entfaltung jenes Kircheseins, dass in der Liturgie dargestellt werden will. Und man merkt gerade in der Feier der Liturgie, welches Kirchenbild sich den Gläubigen einprägen soll. Und das ist – häufig – durchaus erschreckend und erschütternd. Ein kurzer Blick auf viele Situationen sonntäglicher Feierkultur zeigt eine erschreckende Banalität und Untiefe, wenig zu Feiern. Immer noch werden Messen persolviert, gelesen. Und immer noch strahlt ein Klerikalismus auf, der deutlich macht, wo oben und unten ist – bis in die Bauformen hinein.
Jeder und jede, der eine lebendige und tiefe Eucharistiefeier erlebt, wächst in seinem Glauben, wächst in seinem Kirchesein. Nein, die Kunst, einem Gottesdienst vorzustehen, ist nicht formalistisch zu interpretieren, sondern im ganzen Reichtum gefeierter Liturgie – und die Kunst des Feierns mit allen einzuüben, gehört zu diesem Dienst dazu. Wo dies geschieht, wächst Kirche – wo dies nicht so ist, verkommt sie.
Das gilt für alle liturgischen Feiern, nicht nur für die Eucharistie. Wenn im Kontext der vielen Umstrukturierungen der Kirche Priester von der Gefahr sprechen, nur noch Sakramente und Gottesdienste zu feiern, dann irritiert das zutiefst: hier sind doch die Quellen und der Anfang jenes Lebens, das die Kirche ist. Aber nicht das pure Dass ist entscheidend, sondern das Wie dieser Feier bezeugt kirchlichen Aufbruch oder Abbruch.
Da spüren sehr viele Christen jeden Tag schmerzlich. Und noch einmal: natürlich überlebt das Christentum auch dann, wenn Messen und Gottesdienst abgefeiert werden – aber der Reichtum des kirchlichen Lebens wird nicht wachsen, wenn dies so ist.
Optatam Totius!
Die gewünschte Erneuerung der ganzen Kirche hängt wesentlich mit der Art und Weise der Priesterausbildung zusammen – denn der Dienst des Priesters ist nicht nur in seinem Dass, sondern auch in seinem Wie nicht zu ersetzen. Von daher kann man nur die Weitsicht und Weisheit der Konzilsväter bewundern, die diese Dynamik zutiefst verstanden haben. Es ging ihnen überhaupt nicht um Klerikalisierung – aber zweifellos ist der Dienst des Priesters, seine Glaubwürdigkeit, sein Dienst der Leitung, Verkündigung und Heiligung entscheidend für die Erneuerung des ganzen Gottesvolkes. Von daher spielt die Priesterausbildung und ihre kreative Gestaltung im Blick auf die Kirche der Zukunft eine entscheidende Rolle.
Ich habe nicht wenig gestaunt, als ich von der mexikanischen Diözese Ciudad Guzman die Synodenbeschlüsse aus dem Jahr 1995 in die Hand bekam: eine Kirche, die sich so grundsätzlich erneuert und den Zeichen der Zeit stellt, optiert für eine lokale Kirchenentwicklung in kleinen Nachbarschaftsgemeinden, gibt der Pfarrei eine neue Rolle als Gemeinschaft von Gemeinden – und beschreibt dann – folgerichtig – eine entsprechende Priesterausbildung. Beeindruckend konsequent werden hier die Ergebnisse des II. Vatikans und der lateinamerikanischen Synoden inkulturiert und führen zu einer wirklich Volk Gottes nahen Ausbildung der Priester, die im Dienst an diesem Weg ihrer Diözese stehen. Das wünsche ich der deutschen Kirche auch einmal – aber häufig wirkt sowohl die pastorale Perspektive wie die priesterliche Ausbildung merkwürdig unentschlossen Klar aber ist: wenn die Kirche sich erneuern soll, braucht es Priester, die diese Erneuerung mit einem neuen Bild des Kircheseins begleiten.
Inhalt finde ich sehr gut. Wie besser machen?
Kirchenbesuchen klar mitteilen, wichtig ist nicht in die Kirche zu gehen, sondern versuchen die Aufträge Gottes umzusetzen, zu leben und dann in die heilige Kommunion als Belohnung empfangen zu können!!! Der beste Freund eines Menschen sollte Gott sein.
http://www.erfolgundfreude.com
Viel Erfolg
Es wäre gut, wenn Priester sich diesen Artikel zu Herzen nehmen würden. Leider trifft es zu, dass Predigten oberflächlich sind und eine Auslegung des Evangeliums oder der Lesungen geradezu fehlt. Manches Mal sehr enttäuschend. Wünsche mir mehr Tiefgang hinsichtlich der Bedeutung des Wort Gottes für mein Leben.
Es wäre gut, wenn Priester sich diesen Artikel zu Herzen nehmen würden. Leider trifft es zu, dass Predigten oberflächlich sind und eine Auslegung des Evangeliums oder der Lesungen geradezu fehlt. Manches Mal sehr enttäuschend. Wünsche mir mehr Tiefgang hinsichtlich der Bedeutung des Wort Gottes für mein Leben.
Leider ja. Solange die neuen Großpfarreien unter der Priorität der Messfeier-Garantie stehen und alle übrigen Gottesdienstformen mindestens einen geweihten Diakon erfordern (angeblich weil die Leute das so wollen), werden die kath. Gemeinden in Deutschland spätestens nach Ableben der geburtenstarken Priesterjahrgänge in einen Überlebenskampf geraten. In unserem Vorort wird die viel zu große moderne Kirche für ganze 2 Std. Nutzung pro Woche erhalten, weil die Gemeinde sich nicht in der Lage sieht, etwas anderes als die Eucharistiefeier gelten zu lassen. Vielleicht mal ein Konzert. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann der betriebswirtschaftliche Kollaps einsetzt, und damit auch die Frage, ob damit die Entsorgung der kompletten Gemeinde verbunden sein muss. Die Priester, welche die Erneuerung mit einem neuen Bild des Kircheseins begleiten sind nicht in Sicht. Also müssten wir Laien endlich aufwachen und die Sache, auch gegen klerikale Widerstände, selbst in die Hand nehmen. Niemand ist von der Evangelisierung ausgenommen (vgl. EG 120, 259 u.v.a.) Man stelle sich einmal vor, Bergoglios Garage aus seinem Interview von 2007 würden wir in die Tat umsetzen, womöglich systematisch, so wie wir Deutschen das können…
[…] Fixierung auf die Eucharistiefeier als einzig erstrebenswerte Liturgie (Gottesdienst) und [das damit verbundene Weiheamt] auf den Prüfstand stellt, ja: stellen […]